Samstag, 10. Februar 2001 Katzenjammer - Tag 5 -------------------- Strahlende Sonne kitzelte ihn aus seinem Schlaf. Es war Samstag vormittag und ein herrlich schönes Frühlingswetter, welches ihn nach den Aufregungen der letzten Tage mit Zufriedenheit und Fröhlichkeit erfüllte. Natürlich liess er sich mit seinem täglichen Kontrollgang nicht viel Zeit und siehe da, die Katze hatte ein neues, nettes Versteck gefunden, welches sie aber nicht lange vor den Augen ihres Herrchens verbergen können sollte. Bis auf das ein oder andere Versteck wurde der Fenstersimms zu ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Mit grossen Augen beobachtete sie alles, was sein Herrchen um sie herum unternahm. Dieser wiederum bemühte sich, ebenfalls ein wenig Alltag um sich herum aufzunehmen, damit die Katze weitestgehend in Ruhe gelassen wurde. Als er nochmals mit dem Freund seiner Mutter telefonierte erzaehlte ihm dieser, dass er in der Nacht von diesem traumatischen Ereignis träumte. Er war, nachdem er von diesem Traum aufwachte, sogar kurz davor gewesen, sich zu übergeben, da der Gestank in seinem Traum unvermeidbarer war als am Tag zuvor in der Realität. Das ganze hatte ihn jedenfalls ziemlich mitgenommen. Aufgrund der Tatsache, dass er seinen Freunden per e-mail von dieser Sache berichtete, gab es bereits am Samstagmittag einige Kommentare dazu. Die meisten freuten sich über das eigentlich glückliche Ende des Katz und Maus-Spiels. Einer seiner Kumpels kündigte ihm aber fast die Freundschaft, da er für sein Verhalten absolut kein Verständnis aufbringen wollte. Er liess sich aus dem Verteiler für diese Katzenberichte streichen und die letzten Worte waren böse und verletzend, auch wenn dies vermutlich nicht so gewollt war. Die Katze jedenfalls fristete den Tag über an verschiedenen Orten in der Wohnung, einmal konnte er sie sogar dabei beobachten, dass sie von Fenster zu Fenster lief, um wiederum etwas das draussen war zu beobachten. Dabei vergass sie einen Moment ihre Angst und kam nahe an ihr Herrchen heran - ein gutes Zeichen. Nachdem er wieder damit begonnen hatte, ein Bachblüten-Mix der Katzenmilch beizugeben, welches speziell für seine Katze gemischt worden war, um Scheuheit und Angst abzubauen, verliess er sich darauf, dass Ruhe und die Bachblüten langfristig das gewünschte Ergebnis bringen würden. In seinem Fachbuch lass er unter dem Kapitel "Defensive Aggression" folgendes: "Eine Katze die Angst hat ist eine Katze, die in Ruhe gelassen werden will. Keine Diskussion. Versuchen Sie nicht, Ihre Katze zu beruhigen, zu tragen oder Kontakt mit ihr aufzunehmen. Die Katze, die Sie liebt, ist in diesem verängstigten Zustand nicht anwesend. Sie stehen einem Tier gegenüber, dessen einziges Interesse darin besteht, sein eigenes Leben zu retten. [...} Geben Sie der Katze die Möglichkeit, sich zu verstecken. Erlauben Sie ihr, sich zurückzuziehen. [...] Zeit ist für eine verängstigte Katze die beste Medizin. [...] Wann sie sich wieder gefangen hat, merken Sie daran, dass sie anfängt sich zu putzen, sich etwas Leckeres schmecken lässt oder zu Ihnen kommt, weil sie Ihre Aufmerksamkeit wecken möchte." Er versuchte, diese Ratschläge zu beherzigen, ertappte sich aber selbst manchmal dabei, wie er nach ihr sah und ihr auch mal sanft ihren Namen zurief. Einen Streichelversuch wollte er in den nächsten Tagen noch nicht unternehmen, da er vermutlich falsche Assoziationen bei der Katze hervorrufen würde. Die positiven Zeichen wie das Benutzen des Katzenklos, das Fressen (wenn auch nur nachts) und die Tatsache, dass sie keine Fliehversuche unternahm, nicht miaute und auch keine Dinge umwarf, liessen ihn guter Hoffnung sein, dass er sie wieder zu der zufriedenen und glücklichen Katze erziehen könnte wie sie es vor ca. 5 Monaten noch war. Die Ereignisse, die dazu führten, dass die Katze weglief, waren nicht eindeutig zu klären, es hatten sich in den vergangenen Monaten aber viele Hinweise dazu ergeben. Vermutlich war es eine Kombination aus dem Fehlen ihrer einzigen Vertrauensperson, denn sie war Fremden gegenüber schon immer scheu und ängstlich gewesen. Andererseits ist anzunehmen, dass das Fressen, welches ihr täglich innerhalb der Wohnung hingestellt wurde, nach einer Weile von fremden Katzen weggefressen wurde, und sie somit vermutlich des öfteren vor einem leeren Fressnapf stand. Da diese Gründe kein ablehnendes Verhalten gegenüber ihrem Herrchen darstellten, sondern eher einen Vertrauensbruch reflektierten, der unbeabsichtigt passierte, war er auch so fest davon überzeugt, dass seine Katze ihn nicht wirklich nicht mehr akzeptierte. Auch das Mitleid seiner Mutter für die Katze, die jetzt eingesperrt in der Wohnung war, konnte er ihr ausreden: Wilde Katzen darf man nicht einfach aussetzen, da sie eine Bedrohung darstellen... z.B. werden solche Katzen dadurch ja nicht mehr geimpft und können Krankheitsüberträger werden, wenn sie jemanden beissen, der sie streicheln möchte. Da die Katze eine Tätowierung im Ohr trägt liesse sich leicht nachweisen, wem die Katze gehörte, und im schlimmsten Falle könnte man den Besitzer sogar dafür belangen. Wilde Katzen müssen eingeschläfert werden, wenn sie sich nicht wieder an ein Menschenheim gewöhnen können und gefährlich sind. Eine Option, die Katze einfach auszusetzen, selbst wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine durchkommt, steht laut Fachbuch nicht zur Debatte! Er hoffte, dass auch seine Freunde und Bekannten aus diesem Hintergrund heraus besser verstehen konnten, das dieser Versuch, die Katze wieder in ein geregeltes Leben einzugliedern, durchaus die Mittel heiligte, mit denen er zwangshalber vorgehen musste. Ebenso war er davon überzeugt, dass Katzenbesitzer, die ihre Vierbeiner zu einem Tierarzt bringen, auch wenn sich das Plüschtier noch so sehr dagegen wehrt, keine Tierquäler sind. Katzen wissen wie kleine Kinder eben nicht immer, was das beste für sie ist. Und wer hat nicht auch Mitleid mit weinenden Kindern? Aber würde man sie deswegen "Gute Zeiten schlechte Zeiten" ansehen lassen? Ich denke nicht. Der Erziehungsprozess würde viel Geduld erfordern, es waren viele kleine Schritte zu tun, und es war viel Zeit von Nöten, um wieder ein harmonisches Verhältnis zu seiner Katze zu entwickeln. Aber er war bereit, sich dieser Aufgabe zu stellen. Nachdem er seine Gedanken zu diesem Thema sortiert hatte, ein wenig den freien, ruhigen Tag genoss, an dem sich seine Katze ruhig und unspektakulär verhielt, schloss er die Akte "Katzenjammer".